HC

HC#13
HC#13, 2021, 148 x 115cm, C-print

Vom Lindern der Beliebigkeit

Die Reihe HC (hortus conclusus) von Beate Gütschow bietet scheinbar beiläufige Blicke aus dem Fenster in den städtischen Park. Der Standpunkt wirkt unbeteiligt, als sei der Betrachter dem Geschehen entrückt. Das großstädtische Leben zeigt sich in der Grasnarbe, die unter der mangelnden Aufmerksamkeit vieler Besucher und der sengenden Sonne schon etwas gelitten hat. Im Park gibt es Brennnesseln und zerbrochenes Glas, wie man es aus der Großstadt kennt. Vital und treibend, aber auch abgegriffen, manchmal ermattet zeigen sich die Gegenstände und Pflanzen in ungeschönter Kleinteiligkeit. Der Einstieg in die Bilder fällt leicht, wirkt fast beiläufig, wie ein alltäglicher Blick aus dem Fenster. Erst beim Studium der Details wird klar, dass der Lichtkegel, der für gewöhnlich in einem Kameraobjektiv entsteht, in den Bildern fehlt.

Subjekt und Objekt, Kunsthalle Düsseldorf, 2020 © Katja Illner
Subjekt und Objekt, Kunsthalle Düsseldorf, 2020 © Katja Illner

Beate Gütschow fotografiert Parks, um im Anschluss die Perspektive der Bilder aufzuspalten. Dazu werden bis zu 150 Fotos von einzelnen Objekten, wie Mauern, Bänken und Pflanzenkästen gemacht, die im Rechner zu photogrammetrischen Modellen zusammengesetzt werden. Aus dem Bildmaterial verbindet ein Algorithmus Punkte, die in mehreren Fotografien zu gleich vorkommen, zu einem Polygonnetz, das die Objekte in ihrer Tiefendimension mehransichtig visualisiert. Abschließend wird die fotografische Oberfläche auf das Netz projiziert. Mit diesem Datensatz als Ausgangspunkt wählt Gütschow in einem 3D-Programm anstelle der für Kameraobjektive üblichen Fluchtung eine Kavaliersperspektive. Das bedeutet, dass sich die Tiefenlinien eines Würfels in Rauten verwandeln, die Linien also nicht aufeinander zu, sondern parallel verlaufen.

HC#4, 2018, 148x115cm, C-print
HC#4, 2018, 148 x 115 cm, C-print
HC#5, 2018, 148x115cm, C-print
HC#5, 2018, 148 x 115 cm, C-print

In der Fotoserie HC (hortus conclusus) nimmt Gütschow auf Gartendarstellungen in mittelalterlicher Buchmalerei Bezug, indem sie die fotografische Fläche frei komponiert. In der zentralen Perspektive eines Fotos sind herkömmlicherweise Aspekte des Gegenstandes verdeckt, die in der Photogrammetrie gleichwertig werden, so dass Gütschow sich erst im Nachhinein am Rechner für eine Ansicht entscheiden kann. Im Verlaufe des Prozesses komponiert die Fotografin Landschaftselemente aus Einzelbildern mit unterschiedlich perspektivierten Architekturobjekten, die sie am Rechner in sehr zeitaufwendiger Kleinstarbeit wieder zusammensetzt. An den Übergängen zwischen Wiese und Wand stellt sie die Kontinuität wieder her, indem sie Farbtöne, Helligkeit und Kontraste anpasst.

HC, Produzentengalerie, Hamburg, 2018, © H. Mundt
HC, Produzentengalerie Hamburg, 2018 © H. Mundt

Der Garten, den Gütschow entwirft, spiegelt die Lust am Detail der fotografischen Fülle; so ist jedes verwendete Bildelement abgelichtete Wirklichkeit. Das künstlerische Kalkül bewegt sich in der Abwägung zwischen flächiger Komposition und fotografischer Tiefenstruktur. Der verlebte Park wird in der Fotoserie zu einem visuellen Rätsel, das imaginäre Brüche in der Bildkontinuität nur durch das Wissen aus der Seherfahrung des Betrachters vermuten lässt. Neben dem fehlenden Fluchtpunkt, den man in einer Fotografie erwarten würde, ist der Horizont in der von Gütschow angelegten Komposition keine Linie, sondern wirkt wie aufgeklappt; schüttet den Bildinhalt dem Betrachter entgegen. In anderen Bildern wirkt er wie ein Ruhepol, ein breites Band, das statt einer Fluchtung einen zentralen Ort schafft. Gütschow erweitert die prioritätlose Fülle der Fotografie um die Mehransichtigkeit der Objekte und gibt ihr gleichzeitig mit dem Gartenmotiv einen erzählerischen Rahmen. Der Betrachter entrückt aus der erwarteten Perspektive der Fotografie findet einen bedächtigen Ort vor.

HC#3, 2018, 115x153cm, C-print
HC#3, 2018, 115 x 153 cm, C-print

Menschen sind in der Fotoserie oft als Abwesende repräsentiert: Graffiti an den Mauern und Sitzbänken zeugen von einer vibrierenden Jugendkultur, aber die Bänke und Wege bleiben oft leer. Pflanzen und Bäume wirken begangen; manchmal in ihrem Wachstum bedrängt. Gibt es mal Besucher im Park, bewegen sie sich unbeobachtet, oder gar geistesabwesend. Besonders fällt eine Mobiltelefonnutzerin ins Auge, die unberührt von der Welt um sich herum, im schwarzen Spiegel versinkt. Mit ihrer Körperhaltung im Schneidersitz und den Kopf ausgependelt über dem mobilen Gerät erinnert sie an einen antiken Dornenauszieher. Der krumme Rücken schirmt die Figur von der Außenwelt ab, schützt sie in ihrer Kontemplation auf das verspannte Körperteil; beide Figuren verbindet die Hoffnung auf Linderung. So lindern auch die Bilder von Gütschow das Argument fotografischer Wirklichkeit; lindern die Beiläufigkeit der Fotografie ohne ihre Fülle zu verstellen. Die Bilder wirken nahezu versöhnlich, gerade weil sie die Vermessung, das Operative der Lichtprojektion in eine künstlerische Abwägung verwandeln und das Durchdringen der Gegenstände nicht einfach mit einem Knopfdruck geschehen lassen.

Sara Hillnhütter

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HC#9, 2019, 115x153cm, © VG Bildkunst
HC#5, 2019, 148x115cm, C-print
HC#6, 2018, 115x153cm, C-print
HC#6, 2018, 115 x 153 cm, C-print